„Wie Demokratien sterben“

von Steven Levitsky und Daniel Ziblatt – Eine Leseempfehlung

Dr. Peter Bechstein | Published on December 06, 2019

#Literatur #Politik

Die heute Zwanzigjährigen – die sogenannten Digital Natives – kennen nichts anderes, als dass die Bundeskanzlerin Angela Merkel heißt. Die heute Siebzigjährigen – die sogenannten Nachkriegskinder – kennen nichts anderes als Frieden und Demokratie. Obwohl beide Gruppen ein halbes Jahrhundert trennt, haben sie doch ein gemeinsames Lebensgefühl: Beständigkeit ist ihnen zur Gewohnheit geworden. Und Gewohnheit wird nicht selten mit Selbstverständlichkeit verwechselt. Demokratie, Frieden und ihr Fortbestand sind aber alles andere als selbstverständlich, ja sie sind sogar gefährdet. Sie erodieren, wenn die Gesellschaft sie irrtümlich als selbstverständlich an-sieht und nichts zu ihrem Erhalt unternimmt.

Genau das aber droht, wenn Menschen aufhören, sich an die Grundregeln des Miteinanders zu halten. Wenn Andersdenkende als Feinde betrachtet werden und die politische Debatte verroht, wenn Regeln nur für andere gelten, wenn Nehmen wichtiger wird als Geben, gehen bereits wichtige Säulen der Demokratie in die Brüche.

Wenn aber zuerst die „Schiedsrichter“ – Gesetzeshüter, Nachrichtendienste, Ethikkommissionen, Gerichte – attackiert, dann die „Schlüsselspieler“ – zum Beispiel die Medien oder politische Gegner – neutralisiert, ehe die „Spielregeln“ des Gesell-schaftsgefüges neu definiert werden, indem man Gewalt duldet, Gesetze beugt und Willkür treibt, dann ist der Weg zur Autokratie beschritten.

Demokratie lebt nicht davon, dass wir in Fernsehdebatten unversöhnlich einander Gegenübersitzende dabei beobachten, wie sie sich ständig ins Wort fallen.

Diese Mechanismen untersuchen die Harvard-Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in ihrem Buch „Wie Demokratien sterben“, wobei sie vor allem das schwinden-de Miteinander in den Vereinigten Staaten unter Donald Trump und die Entwicklung dorthin seit Newt Gingrich´ unseligem Wort vom „Krieg um die Macht“ im Auge haben. Doch parallele Entwicklungen in den USA, der Türkei, Ungarn oder Venezuela sind kaum zu übersehen. Und auch der Blick auf die Wahlkämpfe der letzten Wochen und Monate in unserem Lande lässt einen politischen Beobachter hellwach werden. Von der Europawahl über die Urnengänge für Landtage und Kommunalparlamente lässt sich ein einheitliches Bild beobachten: die Regeln des politischen Diskurses werden in Frage gestellt und geraten aus den Fugen.

Es geht im Buch „Wie Demokratien sterben“ nicht darum, die Demokratie in westlichen Gesellschaften zu Grabe zu tragen, sondern vielmehr darum, davor zu warnen, dass wir im Begriff sind, eines der wertvollsten Ideale unserer Zeit durch Nachlässigkeit und unzureichendes Engagement zu verderben. Demokratie lebt nicht davon, dass wir in Fernsehdebatten unversöhnlich einander Gegenübersitzende dabei beobachten, wie sie sich ständig ins Wort fallen. Es geht darum, im eigenen Umfeld die politische Debatte wieder neu zu lernen und auch gegenzuhalten, wenn Andere die demokratischen Spielregeln zu manipulieren versuchen – weil dies der Anfang einer schleichenden Demontage unseres demokratischen Systems sein kann.

Besonders prägnant wird dabei herausgearbeitet, welche vier Verhaltensmerkmale als Warnzeichen dienen und helfen können, autoritäre Politiker zu erkennen. Danach sollten wir uns Sorgen machen, wenn ein Politiker „(I) in Wort oder Tat demokratische Spielregeln ablehnt, (II) politischen Gegnern die Legitimität abspricht, (III) Gewalt toleriert oder befürwortet oder (IV) bereit ist, bürgerliche Freiheiten von Gegnern, einschließlich der Medien, zu beschneiden.“ Ein Politiker, der auch nur eines dieser Kriterien erfüllt, gibt bereits Anlass zur Sorge …  

Im Grundgesetz ist die Rolle der Parteien verankert: sie „wirken bei der politischen Willensbildung“ mit. Das ist auch richtig und hat sich bewährt. Aber Einmischung und Einflussnahme auf die politische Willensbildung sind nicht den Parteien vorbehalten. Jedermann kann für seine Interessen auch außerhalb der Parlamente eintreten und seine Stimme nicht nur am Wahltag erheben. Ob man in Bürgerinitiativen für den Erhalt von Biotopen kämpft, sich in Branchenverbänden für die Interessen der Wirtschaft einsetzt, als Sachverständiger Kommissionen berät oder im privaten Umfeld für seine Ideale eintritt – nur das Wissen, dass demokratische Prozesse und Strukturen auch „konstruktiv“ genutzt werden müssen, hält die Demokratie am Leben. Und der Mut und das Engagement von Demokraten, gegenzuhalten, wenn die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln, quasi „legalistisch“ ausgehebelt werden soll.

„Die Erosion der Demokratie geschieht so unmerklich, dass viele sie nicht wahrnehmen.“
Es droht der Verlust der Leitplanken der Demokratie. Sie engen uns nicht ein, sondern geben uns Richtung und Ausrichtung. Das Buch von Levitsky und Ziblatt ist eine erhellende Analyse des Zustands demokratischer Systeme weltweit – und ein Weckruf zur Rettung der Demokratie, in den USA und anderswo.

„Wie Demokratien sterben – und was wir dagegen tun können“ von Steven Levitsky und Daniel Ziblatt.

Dr. Peter Bechstein ist Partner und Aufsichtsratsvorsitzender der Public Affairs-Beratung CONCILIUS AG (www.concilius.com) in Berlin, Brüssel, München und Stuttgart.

Published on December 06, 2019