Scouting für E-Scooter

Dr. Peter Bechstein | Published on December 03, 2019

#Elektromobilität

In großen Städten wie Berlin, Hamburg, Dresden, München oder Köln gehören sie bereits innerhalb weniger Tage zum Straßenbild: E-Scooter oder Elektrotretroller, die „auf der letzten Meile“ einen weiteren Schritt in Richtung „Elektromobilität“ und „smart urban mobility“ darstellen. Eigentlich dürfen sie erst seit dem 15. Juni 2019, also seit wenigen Wochen, auf Radwegen und Straßen rollen, und doch geht die Zahl der flotten Flitzer schon in die Tausende.

Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens wurden auch schon vor dem Inkrafttreten der sog. Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung zahlreiche Modelle verkauft, die streng genommen aber nur auf Privatgrundstücken gefahren werden durften (und evt. auch dürfen). Zweitens haben sich mehrere Flottenbetreiber, darunter internationale Sharing-Anbieter wie Lime oder Bird und deutsche Startups wie Tier in Berlin oder Floatility in Hamburg, rechtzeitig auf die großflächige Verbreitung ihrer E-Scooter in den größeren Städten vorbereitet. Sie stellen den Löwenanteil der kleinen Roller.

Doch während der Debatte um die Ausgestaltung der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung bestand durchaus die Gefahr, dass die Bedingungen das Geschäftsmodell „E-Scooter-Sharing“ zunichte gemacht hätten. Denn je nach Ausgestaltung der Verordnung wäre das Sharing, also die Kurzzeitvermietung via App, nur schwer umzusetzen gewesen. Es war hilfreich, dass sich das Bundesverkehrsministerium trotz der Kritik an der Verzögerung ein halbes Jahr Zeit genommen hat, die Einzelheiten mit Verbänden, Herstellern, Polizei und nicht zuletzt mit den Stadtverwaltungen zu diskutieren. Im Ergebnis haben wir in Deutschland ein strenges, aber gut austariertes Regelwerk hinbekommen.

Die Erwartungen an das Geschäftsmodell sind groß. Denn nur, wenn es so einfach wie möglich ist, die bis zu 20 km/h schnellen Roller zu nutzen, kann die erwartete Entlastung der städtischen Straßen Wirklichkeit werden. Derzeit kosten die E-Scooter zwar weniger als die aktuellen Smartphones – aber die Verkaufszahlen werden wohl erst zum Weihnachtsgeschäft in die Höhe schnellen. Weitaus wahrscheinlicher ist es, dass die Fahrt auf der letzten Meile durch flexible Sharing-Angebote begünstigt wird: Mit einer App lassen sich die Fahrzeuge im Stadtgebiet finden, identifizieren und bei geringen Kosten (Grundgebühr plus Zeittakt) mieten beziehungsweise „sharen“. Ist das Fahrtziel erreicht, wird der E-Scooter wieder abgestellt und die Miete beendet.

… gerade die Leichtigkeit, mit der E-Scooter genutzt und wieder abgegeben werden können, beflügelt die Einsatzmöglichkeiten …

Der ursprüngliche Entwurf, den das Bundesverkehrsministerium im Herbst 2018 vorgelegt hatte, hatte die Sharing-Flotten offensichtlich nicht ausreichend im Visier. Der Erstentwurf zielte vielmehr darauf, die Einzelheiten aus Sicht der anderen Verkehrsteilnehmer – vor allem der Fußgänger – und der Zulassungsbestimmungen zu definieren. Während alle Welt darüber diskutierte, dass E-Scooter von Gehwegen ferngehalten werden müssen, lag die eigentliche Brisanz in zwei anderen Kernpunkten: Führerscheinpflicht und Blinker.

Beides hätte das Sharing-Modell konterkariert und damit die Hoffnung auf eine schnelle Nutzung der E-Scooter auf der letzten Meile zunichte gemacht. Denn gerade die Leichtigkeit, mit der E-Scooter genutzt und wieder abgegeben werden können, beflügelt die Einsatzmöglichkeiten – zum Beispiel, um schnell zwischen zwei Geschäftsterminen zu pendeln, um von der ÖPNV-Haltestelle zum eigentlichen Zielort weiterzufahren, ohne den Roller in Bus oder Bahn mitschleppen zu müssen, oder um abends noch schnell einzukaufen. Die gelegentliche Nutzung erzeugt kleine Kosten, der Kauf aber wäre eine nennenswerte Investition.

Wie hätte man denn überprüfen sollen, ob der Kunde tatsächlich über einen Mofa-Führerschein verfügt? Natürlich wäre es möglich gewesen, sich in der App auch mit der Nummer des Führerscheins registrieren zu lassen. Aber ob der „Sharer“ und der „Scooter“ dieselbe Person sind, hätte sich nicht überprüfen lassen können.

Und beim Thema Blinker wurde schnell deutlich, dass es keine Hersteller von E-Scootern gibt, die ihre Elektrotretroller serienmässig mit Blinkern anbieten. Dies wäre für Sharing-Anbieter, die mehrere Tausend Fahrzeuge mehr oder weniger gleichzeitig in den Markt bringen müssen, um eine Nutzerakzeptanz zu erreichen, ein mehr als mittleres Problem geworden.  

Beide Regelungen hätten das Durchstarten der Sharing-Angebote deutlich behindert und damit das eigentliche Ziel der E-Scooter-Zulassung, nämlich die Entlastung des Straßenverkehrs, gefährdet. Es ist aber den Verbänden, Herstellern und Flotten-Betreibern gelungen, das Bundesverkehrsministerium und Minister Andreas Scheuer davon zu überzeugen, dass diese Regelungen nicht „sharing-tauglich“ sind. Das sind die Vorteile einer Demokratie, in der Gesetze und Verordnungen nicht im freien Raum entstehen, sondern im Dialog mit den Betroffenen und der Gesellschaft.

Dass die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung ein halbes Jahr auf sich hat warten lassen, ist sicher das kleinere Übel im Vergleich zu den beiden möglichen Übeln „Überregulierung“ und „Unterregulierung“. In den großen Metropolen San Francisco, Washington DC, Salt Lake City, Paris, London oder Wien sind die E-Scooter weit früher erlaubt worden – allerdings ohne nennenswerte Regelungen. Dort sind die flotten Flitzer schnell zum Ärgernis geworden, weil sie Fußgänger gefährdeten und Parks verschandelten. Diese Unterregulierung führt heute dazu, dass in diesen Städten das Pendel umschlägt und die Stadtverwaltungen jetzt Verbote aussprechen. Umgekehrt hätte eine Überregulierung mit Führerschein- und Blinker-Pflicht die Einführung von Sharing-Modellen behindert.

Es hat sich bewährt, dass es im Vorfeld der Verordnung ein „Scouting für Scooter“ gab, in denen alle Beteiligten ihre Bedenken und Anregungen vorbringen können. Der vorparlamentarische Raum und die Möglichkeit, im Rahmen von Gesetzgebungsprozessen Gehör zu finden, sind deshalb ein wichtiges Werkzeug der Mitgestaltung unseres Gemeinwesens – und im Interesse der Sache beinahe schon eine „demokratische Pflicht“.

Und es gibt rund um die E-Scooter auch weiterhin Gestaltungsbedarf. Denn einerseits fehlt noch eine einheitliche Regelung in der Europäischen Union. Andererseits wird es konkrete Ausführungsregelungen in den Städten und Gemeinden geben müssen. Es ist gut, wenn auch hier die Betroffenen im Vorfeld gehört werden. Und nicht zuletzt bietet die in der Verordnung festgelegte erste Evaluierung Ende 2020 eine Chance, die eine oder andere Regelung, die sich als nicht praxistauglich herausstellen sollte, zu korrigieren.

Dr. Peter Bechstein ist Partner und Aufsichtsratsvorsitzender der Public Affairs-Beratung CONCILIUS AG (www.concilius.com) in Berlin, Brüssel, München und Stuttgart.

Published on December 03, 2019