Interessante Neudifinition von Unternehmenszielen

Vom Shareholder Value zum Stakeholder Value

Dr. Peter Bechstein | Published on December 04, 2019

#economy

Nach der überwiegenden Meinung der Wirtschaftsliteratur war der bisherige Sinn und Zweck unternehmerischen Handelns vorrangig, Gewinne zu erwirtschaften und den Shareholder Value zu steigern. Andere gesellschaftlichen Gruppen wurden hierdurch zu „Produktionsfaktoren“ oder „Rahmenbedingungen“ degradiert.

Doch scheint sich hier ein Wandel abzuzeichnen, der bemerkenswert ist. So haben jüngst 181 US-amerikanische Konzernchefs, zusammengeschlossen im Business Roundtable, in einem „Statement on the Purpose of a Corporation“ zu Protokoll gege-ben, dass der Shareholder Value sich in ihren Augen in eine Reihe weiterer, gleichran-giger Ziele einreihen sollte. Der Exklusivitätsanspruch des Shareholder Values wird aufgegeben, vielmehr gehe es darum, die Interessen von Kunden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Lieferanten und der „Gesellschaft, in der wir wirtschaften“, gleich-rangig zu den Interessen der Share¬holder zu berücksichtigen und zu fördern. Die Inte-ressen der Aktionäre stehen dem¬nach nicht höher als die der Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten oder der Gesellschaft.

Früher erhielten CEOs den Rat, sich unauffällig zu verhalten und keine Kritik zu wecken. Heute könnte das Gegenteil der Fall sein. Wenn Unternehmen und CEOs sich in gesellschaftlichen Themen einbringen, wird es einfacher, sie zu lösen. (Jamie Dimon, J. P. Morgan)

Dabei ist die Wertschätzung der Stakeholder durchaus im Interesse der Aktionäre. „Stakeholder drängen Unternehmen dazu, sich mit gesellschaftlichen und politischen Themen zu beschäftigen, insbesondere weil sich die Regierungen weniger dazu in der Lage sehen“, begründet einer der prominentesten Unterzeichner – Laurence D. Fink, Chef der weltgrößten Investmentgesellschaft Blackrock – die Kehrtwende. Und J. P. Morgan-Chef Jamie Dimon attestiert: „Früher erhielten CEOs den Rat, sich unauffällig zu verhalten und keine Kritik zu wecken. Heute könnte das Gegenteil der Fall sein. Wenn Unternehmen und CEOs sich in gesellschaftlichen Themen einbringen, wird es einfacher, sie zu lösen.“

Das ist Lobbying im besten Sinne des Wortes! In der Tat geht es auf diesem Planeten mehr und mehr darum, die Kräfte für die großen Herausforderungen zu bündeln. Es wird immer deutlicher, dass Herausforderungen wie die Bekämpfung der Erderwär-mung nicht als nationale Aufgabe, sondern im globalen Kontext gesehen werden müs-sen – und durch viele kleine Schritte auf übergeordneten Ebenen, aber auch in lokalen Initiativen und durch jede Einzelne und jeden Einzelnen einer Lösung nähergebracht werden müssen

Und auch die Einflussnahme auf die aktuelle Politikgestaltung kann im Zusammen-spiel mit der „Gleichrangigkeit“ der verschiedenen Stakeholder-Gruppen ein Beitrag zur Corporate Responsibility sein. Beispiel Gesetzesfolgenabschätzung: Es ist und bleibt wichtig, im direkten Dialog mit der Politik auf mögliche (unvorhergesehene oder unbeabsichtigte) Auswirkungen neuer Gesetzesinitiativen aufmerksam zu machen. Wer hier in der Lobby – also im wörtlichen Sinne in der Wandelhalle des Parlaments – aktiv wird, macht seinen Einfluss für alle tangierten Stakeholder-Gruppen geltend.

Deshalb ist es in der Tat wichtig, sich als Unternehmen und als Unternehmer „in ge-sellschaftlichen Themen einzubringen“, wie es die 181 CEOs in ihrem „Statement on the Purpose of a Corporation“ formuliert haben. Sie alle* sind Mitglieder im „Business Roundtable“, einer 1972 gegründeten US-amerikanischen Lobbyorganisation. Das Fo-rum verfolgt die Ansicht, dass in einer pluralistischen Gesellschaft der Wirtschaftssek-tor eine aktive und wirksame Rolle bei der Gestaltung der öffentlichen Ordnung spie-len sollte. Es geht darum, „Gutes zu tun“ – im Interesse der vielfältigen gesellschaftli-chen Gruppen und Gruppierungen, für die die Auswirkungen spürbar sind.


* Eine Auswahl der Mitglieder im „Business Roundtable“, die das Statement on the Purpose of a Corporation“ unterzeichnet haben: Julie Sweet (Accenture), Jeff Bezos (Amazon), Doug Parker (American Airlines), Stephen J. Squeri (American Express), Tim Cook (Apple), Randall Stephenson (AT&T), Brian Moynihan (Bank of America), Philip Blake (Bayer USA), Laurence Fink (Blackrock), Dennis Mullenberg (Boeing), Robert Dudley (BP), Giovanni Caforio (Bristol-Myers Squibb), D. James Umpleby (Caterpillar), Michael Wirth (Chevron), Chuck Robbins (Cisco), Michael Corbat (Citigroup), James Quincey (Coca-Cola), Brian Humphries (Cognizant), Ryan Lance (ConocoPhillips), Mi-chael Weeks (Corning), Michael Dell (Dell), Punit Renjen (Deloitte), Jim Fiterling (Dow), Mark Costa (Eastman), Darren Woods (Exxon Mobil), Carmine Di Sibio (EY), Frederick Smith (FedEx), James Hackett (Ford), Lachlan Murdoch, (Fox) Phebe Nova-kovic (General Dynamics), Mary Barra (General Motors), David Solomon (Goldman Sachs), Craig Minear (Home Depot), Darius Adamczyk (Honeywell), Ginni Rometty (IBM), Charles Philips (Infor), Samuel Allen (John Deere), Alex Gorsky (Johnson & Johnson), George Oliver (Johnson Controls), Jamie Dimon (JPMorgan), Lynne Doughtie (KPMG), Marilynn Hewson (Lockheed Martin), Jeff Gennette (Macy´s), Lee Tillman (Marathon Oil), Arne Sorenson (Marriott), Ajay Banga (Mastercard), Lawrence Kurzius (McCormick), Michel Khalaf (MetLife), James Gorman (Morgan Stanley), Greg Brown (Motorola), Adena Friedman (Nasdaq), Ted Mathas (New York Life Insurance), Kathy Warden (Northrop Grumman), Safra Catz (Oracle), Ramon Laguarta (PepsiCo), Albert Bourla (Pfizer), David Taylor (Procter & Gamble), Bob Moritz (PwC), Steve Mollenkopf (Qualcomm), Thomas Kennedy (Raytheon), Blake Moret (Rockwell), Douglas Peterson (S&P Global), Keith Block (Salesforce), Bill McDermott (SAP), Jim Goodnight (SAS Insti-tute), Lisa Davis (Siemens), James Loree (Stanley Black & Decker), Richard Templeton (Texas Instruments), Lance Fritz (Union Pacific), Oscar Munoz (United Airlines), David Abney (UPS), Alfred Kelly (Visa), Doug McMillon (Walmart), Hikmet Ersek (Western Union), John Visentin (Xerox), Michael Roman (3M) – in alphabetischer Reihenfolge der durch sie vertretenen Unternehmen

Dr. Peter Bechstein ist Partner und Aufsichtsratsvorsitzender der Public Affairs-Beratung CONCILIUS AG (www.concilius.com) in Berlin, Brüssel, München und Stuttgart.

Published on December 04, 2019