Blockchain

Das nächste große Ding

Roberto Fleissner | Published on December 12, 2019

#blockchain #tech

Das McKinsey Global Institute attestierte den Europäern in ihrer jüngsten Studie „Innovation in Europe“ zwar beste Noten bei der Grundlagenforschung, kritisierte aber die mangelnde Fähigkeit, die Forschungsergebnisse in wirtschaftlichen Erfolg umzumünzen. Von MP3 bis Transrapid gibt es in der Tat zahlreiche Beispiele gerade aus deutschen Forschungsprojekten, wie grundlegend neue Technologien schließlich in den USA oder China zu Markterfolgen wurden.

Derzeit scheint sich dieses Phänomen auch rund um künstliche Intelligenz zu wiederholen. Die Europäer forschen seit 30 Jahren und produzieren die meisten wissenschaftlichen Papiere zu KI, während die großen Internetkonzerne aus den USA und China längst durch die Nutzung von Big Data Analytics und Machine Learning Wettbewerbsvorteile genießen. Die deutschen und europäischen Initiativen zur KI-Förderung liegen im einstelligen Milliardenbereich und sind im Vergleich zu den Ausgaben in den USA und China eher marginal. Schlimmer aber noch ist, dass die EU zwar die Nutzung künstlicher Intelligenz fördert, die Nutzung von Daten als wichtigster Treibstoff der Technologie aber behindert. Dabei gibt es gute Technologien, die genau dies leisten: Daten nutzen, ohne sie öffentlich zugänglich machen. Es wäre deshalb gefährlich, Blockchain-Technologien zu vernachlässigen. Blockchains müssen deshalb das nächste Technologiethema sein, bei dem Deutschland einen Vorsprung auch tatsächlich nutzt.

Damit das auch klappt, drängen jetzt Branchenverbände und der Bundesverband der Deutschen Industrie die Bundesregierung, mehr Investitionen in die Blockchain-Technologie durch Rechtssicherheit und Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Deshalb sollte unter anderem geprüft werden, inwieweit die Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung unverändert auf die Behandlung von Daten in einer Blockchain angewendet werden können. Zudem sollten Ausschreibungen technologieneutral formuliert werden, so dass Blockchains als Alternative zu Plattform-Lösungen gefördert werden können.

Tatsächlich stellen Blockchains eine transparente und deshalb vertrauenswürdige Ergänzung zum klassischen Cloud Computing oder dem Internet der Dinge dar, weil sie Transaktionen dezentral auf mehreren Computern dokumentieren und für ihre Verifizierung keine zentrale Instanz – wie zum Beispiel ein Cloud-Rechenzentrum – benötigen. Der heute bekannteste Anwendungsfall für Blockchains ist die Kryptowährung Bitcoin. Hier dient die Blockchain als „dezentrales Hauptbuch“ oder General Ledger, in dem alle Transaktionen fälschungssicher dokumentiert sind. Eine zentrale Cloud-Plattform, die als „Bank“ fungiert, gibt es nicht und wird wegen der dezentralen Struktur auch nicht benötigt.

Anwendungsfälle für künftige Blochchains gibt es in der Industrie zuhauf: So können zum Beispiel flexible Fertigungsmaschinen in einer Blockchain Daten um Status und Fortschritt untereinander austauschen. Dadurch lassen sich Konzepte wie die „wandlungsfähige Fabrik“ realisieren, in der die Produktion unmittelbar auf geänderte Bedarfe reagieren kann. Anders als beim Datenaustausch über das Internet der Dinge wäre dieses geschlossene System von außen nicht korrumpierbar und damit potentiell sicherer. Das gleiche gilt analog für unternehmensübergreifende Geschäftsprozesse, in denen Lieferant, Produzent und Kunde in einer Supply Chain auch sensible Daten über eine Blockchain austauschen.

Das Potential der Blockchain-Technologie ist noch kaum erforscht, In Deutschland engagieren sich derzeit vor allem Startups bei der Umsetzung in konkrete Projekte. Deshalb ist es entscheidend, dass die Bundesregierung die Bildung eines Ökosystems für Blockchains unterstützt.

Ein weiteres Beispiel ist das Joint Venture „Transactive Grid“, das Mikronetzwerke an Anlagen für erneuerbare Energien – also Wind-, Solar- oder Wasserkraft – über Blockchains miteinander vernetzt. So können lokale Märkte für erneuerbare Energien geschaffen werden, die unabhängig von Energieversorgungsunternehmen als Zwischenhändler funktionieren. Dabei werden Energieerzeugung und -verbrauch in Echtzeit gemessen und unter Nachbarn miteinander verrechnet.

Das Potential der Blockchain-Technologie ist noch kaum erforscht, In Deutschland engagieren sich derzeit vor allem Startups bei der Umsetzung in konkrete Projekte. Deshalb ist es entscheidend, dass die Bundesregierung die Bildung eines Ökosystems für Blockchains unterstützt. Innovationen und Technologien im Bereich Blockchain sollten deshalb durch Reallabore und gezielte Pilotprojekte der öffentlichen Hand unterstützt werden, fordert der Bundesverband der Deutschen Industrie.

Es ist Zeit, stärker Einfluss zu nehmen auf die Technologie-Initiativen der Bundesregierung. Bei Blockchains könnte Deutschland auch mit der Umsetzung ganz vorne dabei sein. Deshalb sollte – ganz wie bei der KI-Initiative, die die Bundesregierung mit drei Milliarden Euro unterstützt – eine gemeinsame Initiative von Politik und Wirtschaft die Nutzungsmöglichkeiten der Blockchain evaluieren. Es ist durchaus eine Herausforderung für die Wirtschaft, sich auf eine Technologie einzulassen, die sich nicht auf den ersten Blick erschließt, auf den zweiten aber vertrauenswürdiger ist als beispielsweise Cloud Computing. Und es ist eine Technologie, die niemandem gehört – die also auch niemanden hat, der für sie verantwortlich zeichnet. Das hat sie gemein mit Open Source. Aber wie bei Open Source setzen auch Blockchains ungeahnte Kräfte frei. Man sollte die Blockchain als das nächste ganz große Ding fördern.

Roberto Fleissner ist Partner und Vorstandsvorsitzender der CONCILIUS AG.

Published on December 12, 2019