Sparen ja, aber nicht um jeden Preis!

Dr. Peter Bechstein | Erstellt am 10. Dezember 2019

#Infrastruktur #

Im Bundeshaushalt regiert die „schwarze Null“. Die Absicht, einen ausgeglichenen Etat aufzustellen und keine neuen Schulden aufzunehmen, ist durchaus löblich angesichts eines Staatsdefizits von mehr als zwei Billionen Euro. Doch gleichzeitig fährt Deutschland auf Verschleiß: die Investitionen zum Erhalt unserer Infrastruktur reichen nicht aus, um das Volksvermögen zu erhalten. Dabei sollten wir unsere Schulen, Verkehrswege, Kommunikationseinrichtungen und Dienstleistungen eher ausbauen, um im Wettbewerb der Industrienationen mitzuhalten. Wir können es uns nicht leisten, um jeden Preis zu sparen.

Quälend langsam – derzeit mit 66 Euro pro Sekunde – läuft die Schuldenuhr rückwärts, die der Bund der Steuerzahler seit 1995 präsentiert. Sie hängt im Berliner Regierungsviertel, schräg gegenüber des Hauses der Bundespressekonferenz, und zeigt derzeit eine Schuldenlast von 1,918 Billionen Euro an. Das entspricht 23,109 Euro pro Bundesbürger.
Seit 2018 ist die Schuldenuhr rückläufig, nachdem die Länder ihre Gesetze zur Haushaltskonsolidierung der Kommunen umsetzen. Wenn alles so weiter geht, ist Deutschland in „nur“ 921 Jahren schuldenfrei. Oder anders ausgedrückt: alle zwei Wochen verringert sich die Schuldenlast pro Bundesbürger um einen Euro!

Aber es gibt auch den „Bröckel-Index“! Seit 2016 misst ein Konsortium aus Verbänden, Verbünden und Verkehrsbetrieben – darunter unter anderem der Deutsche Städte- und Gemeindebund, die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der Verkehrsverbund Rhein / Ruhr oder die Kölner Verkehrsbetriebe AG – den Verschleiß der Infrastruktur in Deutschland. Nach deren Berechnung hat der Wert des Volksvermögens in Gestalt von Verkehrsinfrastrukturen, Versorgungseinrichtungen und Verwaltungsgebäuden innerhalb von drei Jahren um 67,89 Milliarden Euro abgenommen. Der Wertverfall läuft danach derzeit mit 134 Euro pro Sekunde – mehr als das Doppelte des Schuldenabbaus.

Zugegeben – dies sind plakative Darstellungen, die es möglich machen sollen, ungemein große Zahlen verständlicher zu machen. Aber sie zeigen einen Trend: Deutschland fährt auf Verschleiß!

Das lässt sich durch zahllose persönliche Eindrücke erhärten: die täglichen Staus vor der Leverkusener Rheinbrücke der A1, die für Schwerlastverkehre gesperrt ist; die regelmäßigen Verspätungen der Deutschen Bahn, bei der inzwischen nahezu jedes Wetter zu Ausfällen führt; die Toiletten an Schulen; die verödenden Innenstädte – alles das ist ein Hinweis auf den Verschleiß unseres Volksvermögens.

Doch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gibt mit dem KfW-Kommunalpanel einen jährlichen Lagebericht heraus, der unangefochten die Situation unserer Infrastrukturen aus Sicht der Kommunalverwaltungen wiedergibt: Danach beziffern die Verwaltungen in den Städten und Gemeinden den Investitionsrückstau auf zusammengenommen 138,4 Milliarden Euro. Dabei gibt es vom Bund und vom Land Fördergelder, die jedoch nicht im vollen Maße abgerufen werden. Dafür sind vor allem zwei Ursachen maßgeblich: die Verwaltungen sind nach Personalabbau im Planungssektor überfordert und die Bauwirtschaft ist angesichts günstiger Baukredite überlastet.

42,8 Milliarden Euro der Investitionsrückstände der Kommunen beziehen sich auf Schulen oder Kindergärten. Dies übersteigt laut KfW den Investitionsbedarf in Straßen (36,1 Milliarden Euro) und Verwaltungsgebäude (14 Milliarden Euro) deutlich. Nicht hineingerechnet sind die Investitionen der privaten Wirtschaft – zum Beispiel in Infrastrukturprojekte wie Flughäfen, Einkaufsmeilen, Umweltschutzmaßnahmen oder Rekultivierung.

Dies alles ist „Brick and Mortar“ – also Backstein und Mörtel. Schlimmer noch sind die Defizite in den „weichen“ Leistungsfaktoren – allen voran die BildungsINHALTE in Kindergärten, Grundschulen, weiterführenden Schulen und Universitäten. Deutschland ist im Begriff, in allen Technologiethemen den Anschluss zu verpassen.

Die Startup-Szene – der „Mittelstand von morgen“ – könnte noch stärker wachsen, wenn an den Schulen mehr Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge gelehrt würde. Die Erfahrung zeigt, dass Schüler, die an Arbeitskreisen oder Praktika zu wirtschaftlichen Themen teilgenommen haben, mit höherer Wahrscheinlichkeit zu Gründern werden. Und aus jedem Startup entstehen laut Deutschem Startup Monitor des Bundesverbands der Deutschen Startups (in Zusammenarbeit mit KPMG) durchschnittlich zwölf Arbeitsplätze! Und gleichzeitig beklagt der Hightech-Verband Bitkom 80.000 unbesetzte IT-Jobs. Sie stellen nach gängigen Erhebungen einen entgangenen Umsatz von mindestens zwölf Milliarden Euro pro Jahr dar.

Der Wert wird noch steigen, weil Deutschland auch langfristig nicht über flächendeckende Breitbandversorgung verfügen wird. Denn während der Kommunikationsstandard 5G erst in einem Jahrzehnt oder später flächendeckend zur Verfügung stehen soll, sind heute noch klaffende Versorgungslücken bei der Breitbandausstattung zu beheben. Gerade der deutsche Mittelstand, der mit Produktionsstätten vor Ort – und damit oftmals in strukturschwachen Regionen – aktiv ist, braucht heute und sofort eine belastbare Internet-Ausstattung, ohne die das Internet der Dinge und „Industrie 4.,0“ nicht Wirklichkeit werden können.

Es gibt so viele Bereiche unserer infrastrukturellen Entwicklung, auf die wir Einfluss nehmen sollten. Es wird Zeit, den Trend umzukehren. Denn noch fährt Deutschland auf Verschleiß. Traurig, aber leider wahr.

Dr. Peter Bechstein ist Partner und Aufsichtsratsvorsitzender der Public Affairs-Beratung CONCILIUS AG (www.concilius.com) in Berlin, Brüssel, München und Stutt-gart. Unter seiner Mailadresse bechstein@concilius.com steht er Ihnen für Fragen oder für einen Gedankenaustausch gerne zur Verfügung.

Dr. Peter Bechstein ist Partner und Aufsichtsratsvorsitzender der Public Affairs-Beratung CONCILIUS AG (www.concilius.com) in Berlin, Brüssel, München und Stuttgart

Erstellt am 10. Dezember 2019