Mehr Europa wagen

Münchner Sicherheitskonferenz 2020

Roberto Fleissner | Erstellt am 13. Februar 2020

#MSC2020 #Europa #Sicherheitspolitik #Concilius #GovernmentRelations

Die denkbare Quintessenz der morgen beginnenden Sicherheitskonferenz in München ist möglicherweise schon vor ihrem Beginn durch den Leiter der Veranstaltung, Wolfgang Ischinger, zusammengefasst worden: Europa muss sich mehr einbringen und in Krisenherden aktiv werden. Deshalb, so seine Forderung, braucht es künftig nicht nur eine exponierte Position für gemeinsame außenpolitische Themen, also einen europäischen Aussenminister, sondern auch einen Sonderbeauftragten für Krisenherde.

Tatsächlich ist Europa umgeben von internationalen Krisensituationen: Das beginnt im Norden, wo der Klimawandel bei schmelzendem Arktiseis besonders augenfällig durchschlägt. Und es geht weiter mit den populistischen Tendenzen in zahlreichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und dem sich dieses Jahr vollziehenden Brexit. Und es endet noch lange nicht mit den Migrationsströmen am Südrand der Union. Hinzu kommen auch die Krisen im Nahen Osten, in Nordafrika und an der Ostgrenze Europas, die Handelskonflikte zwischen West und Ost, namentlich zwischen den USA und China. Es geht zudem um drohende Pandemien, wie sie aktuell durch das Corona-Virus drohen, und um die Infizierung unserer informationstechnischen Netzwerke, die mehr und mehr Träger unserer wirtschaftlichen Prosperität sind. All das sind sicherheitsrelevante Themen.

In der Tat geht es vor allem um mehr Europa. Das könnte, ja sollte die zentrale Botschaft der Sicherheitskonferenz in München sein. Vor allem die Deutschen haben lange – vielleicht zu lange – in der Logik der Nachkriegszeit und des Kalten Krieges eher ein „low profile“ zelebriert und sich in internationalen Krisen zu wenig engagiert. Wenn das Wort des amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama vom „Ende der Geschichte“ überhaupt Sinn erhält, dann insofern, als die Ära der traditionellen Hegemonialmächte vorbei ist. Was für Europa bedeutet: Wir müssen unsere Geschichte und unsere Geschicke in die eigene, europäische Hand nehmen.

Ein europäischer Sonderbeauftragter für Krisenherde aller Art wäre ein deutliches Signal aus Europa, mehr Verantwortung in der Welt und für den Globus übernehmen zu wollen.

Wo, wenn nicht auf der Sicherheitskonferenz im Bayerischen Hof in München, wo sich ab morgen über 40 Staats- und Regierungschefs sowie mehr als 100 Fachminister treffen werden, sollte eine solche Debatte über das neue sicherheitspolitische Selbstverständnis der Europäer geführt werden? In der Tat ist die Themenpalette in diesem Jahr weiter gefasst als in den vergangenen Jahren. Denn Sicherheitsfragen umfassen heute nicht nur die „klassischen“ Krisensituationen, sondern zum Beispiel auch Fragen der Klimaentwicklung.

Ein europäischer Sonderbeauftragter für Krisenherde aller Art wäre ein deutliches Signal aus Europa, mehr Verantwortung in der Welt und für den Globus übernehmen zu wollen. Ischingers Vorschlag wird deshalb direkt an die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerichtet sein. Sie wird auch die Idee einer europäischen Armee kommentieren müssen, die von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron eingebracht wurde. In der Tat wären beides – Sonderbeauftragter und Europa-Armee – die beiden Seiten einer glänzenden europäischen Friedensmedaille.

Mehr Europa wagen. Das sollte die Antwort auf das Generalthema der 56. Sicherheitskonferenz in München sein. Dazu sind Einsichten notwendig, die auch uns Deutsche unmittelbar betreffen. Wenn sich Europa stärker in Krisen engagieren sollte, dann bedeutet das eben auch, dass der deutsche Beitrag dazu sichtbarer und wirksamer sein muss. Dazu braucht es – nicht nur auf der Sicherheitskonferenz, sondern vor allem in den Wochen und Monaten danach – einen Bewusstseinswandel in Teilen der deutschen Politik. Es geht darum, unseren Beitrag zu leisten – nicht als Weltpolizist, sondern als Moderator und Mediator. Diese Rolle kann die deutsche Politik aber nur ausüben, wenn sie auch ein sichtbares Engagement dort zeigt, wo die Krisenherde brennen.

Mehr Europa wagen bedeutet: mehr Verantwortung übernehmen. Darauf sollten wir Einfluss nehmen.

Roberto Fleissner, Partner und Vorstandsvorsitzender der CONCILIUS AG

Erstellt am 13. Februar 2020