Der kleinste gemeinsame Teiler

Kommentar zu Sharing-Angeboten im Mobilitätsbereich

Sara-Rose Röthel | Erstellt am 09. März 2020

#Mobilität #SharingEconomy #Verkehrswende #Verkehrsplanung #GovernmentRelations #Concilius

Eigentlich schien alles klar: Je mehr Menschen sich ein Fahrzeug teilen, desto weniger Autos stehen auf der Straße. Nach frühen Studien konnte ein Carsharing-Fahrzeug in der Großstadt bis zu 20 Privatautos ersetzen. Das galt schon deshalb als gesichert, weil ein Privatauto mehr als 90 Prozent seiner Lebenszeit ungenutzt herumsteht – in der Garage, auf öffentlichen Parkplätzen oder am Straßenrand. Und dass bei hohen Anschaffungskosten, verbunden mit rapidem Wertverfall.

Und doch kämpfen Carsharing-Anbieter bis heute um das Erfolg bringende Geschäftsmodell. Denn die Tücken des Carsharings liegen im Detail. Auch die Gemeinschaftsautos werden vornehmlich an den verbleibenden weniger als zehn Prozent des Tages genutzt. Deshalb müssen die Fahrzeugflotten doch umfangreicher ausgestattet sein, um die Peaks am Morgen und am Abend abzufangen. In den nachfragearmen Zeiten stehen die „Shared Cars“ genauso herum wie Privatfahrzeuge.

Die Alternative verspricht Ride-Sharing oder Ride-Pooling, wonach nicht das Fahrzeug geteilt wird, sondern die Tour. Danach werden Routen ad hoc nach den angeforderten Fahrstrecken mehrerer Passagiere geplant. Das bedient vor allem den zeitgleichen Bedarf – also zu den Hauptstoßzeiten morgens und abends. Aber bislang ist Ridesharing ein Zuschussgeschäft, wie das Beispiel von Berlkönig zeigt. Das Gemeinschaftsunternehmen der Berliner Verkehrsbetriebe und ViaVan (das wiederum von Daimler unterstützt wird) hat einen aktuellen Finanzierungsbedarf von 43 Millionen Euro. Der rot-rot-grüne Senat verweigert allerdings die Finanzierung aus dem Steuersäckel.

Carsharing und Ridesharing sind also derzeit noch alles andere als Lizenzen zum Gelddrucken – und dass, obwohl das Konzept auf den ersten Blick doch so überzeugend wirkt. Der Grund dürfte im hohen Komfortbedarf der Kunden liegen: es braucht schon Einiges, um das eigene Auto zugunsten einer Teilungsgesellschaft abzuschaffen. Ausstattung, Service-Level und Verfügbarkeit entsprechen nicht immer den Vorstellungen der „Sharer“. So erwarten die Kunden bestens gewartete, das heißt aufgeladene Elektrofahrzeuge. Aber erstens sind immer noch rund drei Viertel der Carsharing-Flotten in Deutschland mit Verbrennungsmotoren ausgestattet und zweitens überwiegen gerade aus Wartungsgründen die stationären Dienste vor den sogenannten Free-Floating-Angeboten, bei denen das Fahrzeug im Stadtzentrum dort abgeholt werden kann, wo der vorherige Kunde es abgestellt hat. Aktuelle Studien zeigen, dass die Kombinationsangebote aus stationären und freifließenden Angeboten die größten Entlastungseffekte für die Innenstädte bieten.

Und das ist der kleinste gemeinsame Teiler hinter Carsharing- und Ridesharing-Konzepten: Es gilt, die Innenstädte vor dem drohenden Verkehrsinfarkt zu bewahren. Das ist nicht allein eine unternehmerische Herausforderung, sondern eine gesellschaftspolitische Verpflichtung. 90 Prozent des innerstädtischen Verkehrs geht auf die Suche nach einem Abstellplatz. Jeder Autofahrer verbringt pro Jahr 41 Stunden mit der Parkplatzsuche. Und 40 Prozent der Schäden am Auto entstehen beim Einparken. Man sollte also glauben, dass Apps zur Parkplatzsuche boomen. Doch auch das ist nicht der Fall: Nach Berechnungen der Volkswagen AG hat nicht einmal jeder fünfte Autofahrer Interesse an mobilen digitalen Lösungen.

Doch individuelle Mobilität kann nur digital funktionieren. Dazu muss weitergedacht werden. Während heute die Kunden an einen bestimmten Anbieter gebunden sind, sollten Apps übergreifend Empfehlungen aussprechen, welches Verkehrsmittel gerade das günstigste ist. Vergleichsportale gibt es genug, aber im Stadtverkehr sucht man sie vergebens. Und schließlich sollten die Kommunen ein Interesse daran haben, Stellflächen für Carsharing-Angebote zur Verfügung zu stellen und Ridesharing-Konzepte als Ergänzung zum subventionierten öffentlichen Personennahverkehr zumindest in der Frühphase finanziell zu unterstützen. Hier möchte ich auch explizit neue Mobilitätskonzepte mit einbeziehen: Wie man im Prozess der Novellierung der Straßenverkehrsordnung beobachten konnte, suchen Kommunen (über die sie im Bundesrat vertretenden Länder) händeringend nach Möglichkeiten, Sharing-Angebote im Mobilitätsbereich pauschal unterbinden zu können, anstatt nach Möglichkeiten der besseren Integration zu suchen, beispielsweise durch die Umwidmung vorhandener Parkplätze zum Abstellen von E-Scootern. Zugegeben, das ist der beschwerlichere Weg, aber gemessen an den vielen aktuellen Herausforderungen im Mobilitätsbereich und in Erwartung (hoffentlich) noch viel neuartigerer technologischer Lösungen und Angeboten, eindeutig der bessere. Und nicht zuletzt: die Stadt Luxemburg hat jetzt entschieden, den Nahverkehr zu hundert Prozent zu subventionieren und kostenfrei anzubieten.

Es ist an der Zeit, die Verkehrspolitik nicht nur städteplanerisch, sondern erst recht mit Blick auf den Klimawandel zu betrachten. Das sollte unser kleinster gemeinsamer Teiler sein.

Sara-Rose Röthel ist Partnerin und Mitglied des Vorstands der CONCILIUS AG.

Sie erreichen sie unter roethel@concilius.com

Sara-Rose Röthel, Partnerin und Mitglied des Vorstands der CONCILIUS AG

Erstellt am 09. März 2020